© Ute Ritter

1 500 km mit dem Bio - Bike

Von Genf ans Mittelmeer und etwas weiter

01.11.2023

Es ist Sommer, ich habe immer noch keinen Plan für meine Radreise. Nur so viel: Ich will dorthin, wo das Wetter schön ist. Südfrankreich klingt gut. Anreise? Mit dem Flixbus bis Genf, zurück wird es sich schon finden. Mal sehen wo ich lande. Also von Genf den Rhone - Radweg zum Mittelmeer und ein wenig weiter. So ist nun der Plan.

Mit dem Nachtbus gelandet, belade ich mein Rad. Ganz langsam rutscht es vor und kippt um, die Handyhalterung bricht ab. Schöner Start! Interessiert beobachten einige Passanten, wie ich auf dem Boden kriechend, alle Teilchen zusammensuche. Die Schweiz eben! Oh je, die ersten Kilometer sind wahrlich eine wacklige Angelegenheit. Bin das Radeln mit schwerem Gepäck nicht mehr gewohnt. Bald erreiche ich die französische Grenze. Die Rhone ist noch ein kurviger Fluss, eilig gurgelnd durch waldige und dünn besiedelte Regionen strömend. Sonnenblumenfelder und Wiesen mit rotem Mohn leuchten in der Morgensonne. Auf den ersten 50 km muss ich kräftig in die Pedalen treten, um etliche anstrengende Höhenmeter zu überwinden. Die beeindruckenden Berge des südlichen Juras prägen die Landschaft. Leider kann ich bergab nicht genießen, denn wo es runtergeht, geht es ja auch wieder rauf. Die Sonne brennt, meine Knie machen Stress. Erster Campingplatz in Seyssel. Ich bin geschafft.

Am Morgen gießt es wie aus Gießkannen, ein ordentliches Gewitter zieht auf. Gut so! Ein schöner Grund, nicht weiter zu fahren. So kann ich meine Erkältung etwas auskurieren. Gleich zwei beeindruckende Hängebrücken überspannen den Fluss. Ich überquere noch zahllose weitere Male die Rhone, ihre Seitenarme und Kanäle über zum Teil Jahrhunderte alte faszinierende Brücken. Auf dem gut ausgebauten Radweg kann ich schnell Meter machen. Dann kommt aber doch noch eine grässliche Holperstrecke. Der kleine Campingplatz liegt auf einer Insel. Der Kiosk hat noch offen, es gibt Wein und zum Frühstück Croissant. Auf einmal geht es nur noch ums Fahrradfahren. Packen am Morgen, Auspacken am Abend. Aufsteigen und Abfahren. Tag und Nacht in der Natur, Fahrradnomade eben. Das Zeltaufbauen geht jetzt zügig, der Kocher blubbert gemütlich am Abend. In Parks, an Rad- und Wanderwegen gibt es hübsche Sitzecken, wo Familien, Rentner oder Jugendliche ihre Picknickkörbe auspacken. Und das funktioniert auch ohne, dass das rettende Auto in Sichtweite ist. Die Franzosen sind Naturfreunde, Wandervogel, Freizeitsportler. Ich begegne vielen freundlichen, interessierten, unheimlich hilfsbereiten Menschen. Dumm nur, dass ich kein Französisch beherrsche, die paar Brocken, die ich zu Hause geübt habe, werden aber anerkennend registriert. Der Weg führt durch kleine Ortschaften, deren Name ich nicht aussprechen kann. Die Berge sind verschwunden, aber einige Steigungen muss ich doch überwinden. Die Knie seufzen. Von weitem leuchten die weißen Kühltürme des Atomkraftwerks. Endlich, ein kleines Café, dass nicht geschlossen hat. Ein Bier, ein Croissant. Im Gastraum schneidet ein Friseur den Kindern die Haare. Ein weitläufiger Naturpark. In der Nähe des Sees suche ich mir einen versteckten Biwakplatz. Ein bisschen mulmig ist mir schon.

Ich habe überlebt! Am Morgen räume ich früh meine Sachen zusammen, fahre über Lyon nach Condrieu. Lyon, die Hauptstadt der Region am Zusammenfluss von Rhone und Saone, 2000 - jährige Geschichte, Weltkulturerbe. Der Fahrradweg ein Träumchen, weit weg vom Autoverkehr, immer am Flussufer entlang. Große und kleine bunte Boote schaukeln gelassen im Wasser. Jetzt wechselt die Rhone die Richtung nach Süden. Der weitere Radweg ist noch in Planung, das heißt Umleitung, Sperrung, Schotterstrecke, Fluchen, Schieben. Plötzlich lande ich im Nirgendwo. Fahre extra noch mal zum letzten Schild zurück, nein ich habe mich nicht verfahren. Also zurück auf die Straße. Es gibt zwar meist einen breiten Radfahrstreifen, aber so eine verkehrsreiche, lärmende N7 zu fahren ist einfach grässlich. Um 20 Uhr bin ich auf dem kleinen urigen Campingplatz. Durch die Umwege sind es heute doch 90 km geworden. Die Knie zetern. Zelt aufbauen ist bei dem starken Wind einfach nicht möglich. Plötzlich eine Böe und meine kleine Villa hängt am Zaun. Schnell eilt Hilfe herbei, vier Mann, vier Ecken. Ein Hammer wird mir in die Hand gedrückt, so kann ich die Heringe fest in den harten Boden schlagen. Lass den Mistral toben, mein Schlafplatz gesichert.

Auf gut ausgebautem Radweg komme ich schnell voran. Die Landschaft hat sich verändert. Die ersten Weinberge machen sich neben der Rhone breit. In Valence ist gerade Markttag. Vom Bügelbrett über Mausefallen gibt es alles. An den Ständen mit unzähligen duftenden Käse-, Wein- und Olivensorten fülle ich meine schrumpfenden Vorräte auf. Zwischen Rochemaure und Viviers teilt sich die Rhone in zwei Arme. Die Route führt über eine gigantische schmale Hängebrücke, die im Wind leicht schaukelt, über die Rhone. Aufgrund ihres Designs wird sie auch „Pont Himalayenne“ genannt. Schmetterlinge kitzeln in der Magengegend. Ein tolles Erlebnis. Der Campingplatz ist geschlossen. Da es langsam dunkel wird, suche ich mir ein sicheres Plätzchen für mein Zelt. Heute Abend gibt es Rührei aus der Tüte. Duschen? Wird doch nur überbewertet!

Es geht weiter in Richtung Süden, kaum Steigungen. Obstplantagen, Olivenbäume, Ginster, Oleander und schließlich auch Lavendel und Zypressen. Irgendwann nervt das laute Zirpen der Zikaden. Das kleine Städtchen Montfrin ist ganz aus dem Häuschen, es findet gerade das traditionelle Stierrennen statt. Was für ein Spektakel! Bis spät in der Nacht wird auf dem Campingplatz gefeiert.

Heute fahre ich nur bis Tarascon, besuche die verschlafene, verwinkelte Altstadt mit ihren schmalen Gassen und prächtigen alten Steinhäusern, genieße die französische Küche. Meine Knie freuen sich. Der kleine gemütliche Campingplatz liegt auf der anderen Flussseite. Der Campingwart macht mir einen Freundschaftspreis.

Ein strammer Nordwind fährt mir am nächsten Morgen mit gefühlten 30 km/h durch die Speichen. Nächster Stopp Avingnon. Es wimmelt von Touristen. Das historische Zentrum mit der 4 km langen gut erhaltenen Stadtmauer, dem riesigen Papstpalast, Kirchen und Brücken ist Weltkulturerbe. Auf der Durchreise kann man diese faszinierende Stadt gar nicht fassen. Ich gönne mir eine Rundfahrt mit der Tuk –Tuk - Bahn und fahre dann weiter.

Die ersten 20 km führt der Radweg romantisch am Kanal entlang, dann 30 km auf einer langweiligen, kaum befahrenen Straße. Die Sonne brennt. Affenhitze, kilometerweit kein Baum, Nordwind. Endlich, nach 50 km eine Einkehrmöglichkeit! „Ein Kaffee, ein Eis, eine Kola, ein Bier und alles auf einmal!“ Von Arles gibt es 2 Möglichkeiten zum Mittelmeer. Klar nehme ich den weiteren Weg nach Sete. Ich fahre durch eine traumhafte Landschaft von Sümpfen, Weingärten und Salzfeldern, entdecke unzählige Vogelarten, halte immer wieder an, um all die Eindrücke aufzusaugen. Nur die versprochenen Flamingos fehlen noch.

Aigues – Mortes, jetzt bin ich im Lieblingsurlaubsgebiet der Franzosen gelandet. Ich bin am Mittelmeer! Es ist Hauptsaison, fahre bis La Grande - Motte. Hier gibt es auf meiner Karte mindestens 12 Campingplätze, da kann doch nichts schiefgehen, denke ich naiv. Alle Plätze sind hier voll, scheinbar ist ganz Frankreich unterwegs.

Am nächsten Tag sehe ich sie endlich, die Flamingo - Kolonien. Immer wieder muss ich anhalten, um den fantastischen Anblick zu genießen. 850 km habe ich in den Beinen. Zwei Ruhetage mit Baden und kleinen Erkundungstouren habe ich mir verdient.

Nach Sete radel ich noch eine Woche an der Küste entlang, lerne spannende Menschen und urwüchsige Landschaften kennen. Es gibt sie noch, diese kleinen romantischen Fischerdörfer, fern ab der Touristenströme mit urigen Campingplätzen, uralten Bäumen und winzigen Kneipen.

1220 km, es wird Zeit, sich um die Heimfahrt zu kümmern. Einmal die Woche fährt ein günstiger Flixbus, der auch Fahrräder mitnimmt, von Montpellier über Mailand nach Straßburg. Das ist es doch! Die Nacht bis Mailand, am Morgen durch die Schweiz nach Straßburg. Etwas umständlich, kann aber spannend werden, denk ich mir so. Der italienische Busfahrer macht einen Riesenstress, will mein Fahrrad auf keinen Fall mitnehmen. Menschenauflauf! Meine Buchung interessiert ihn überhaupt nicht. Nach großem Tamtam muss ich mein Rad auseinanderbauen. Umsteigen in Mailand. Um ein Haar wäre mein demontiertes Velo hier im Müllcontainer gelandet! Im Anschlussbus durch die Schweiz kann ich mich zurücklehnen und die blitzsaubere traumhafte Landschaft genießen.

Ein freundlicher junger Mann baut meinen Drahtesel am Ziel wieder zusammen. Straßburg ist eine aufregende Stadt. Flammkuchen und Wein sind schon mal Pflicht. Das Elsass ist auch schön. Ein paar Tage habe ich noch Zeit und radel nach Basel. Den verträumt dahinplätschernden Rhein – Rhone - Kanal mit den wunderschönen, jahrhundertealten Platanen liebe ich besonders. Von Straßburg geht es ohne Ärger bis Zwickau zurück mit dem Flixbus.

1500 km mit dem „Bio-Bike“. Und ja, Frankreich ist als Feinschmecker Land bekannt, aber alles ist sehr teuer, so dass ich mir diesen Teil meistens verkniffen habe. Baguette, Käse, Salami und Wein sind auch sehr lecker. Frankreich ist ein ideales Radfahrerland und die Sache mit der Brüderlichkeit ist auf jeden Fall besser gediehen als bei uns.

 

Ute Ritter